Wasserbauliches Versuchswesen im 21. Jahrhundert

Das wasserbauliche Versuchswesen hat eine über hundertjährige Tradition und liefert nach wie vor einen wesentlichen Beitrag zur Beantwortung aktueller hydraulischer und morphologischer Fragestellungen. Während im 20. Jh. wasserbauliche Modellversuche oftmals die einzige Möglichkeit
waren, komplexe hydraulische Fragestellungen mit einer hinreichenden Prognosesicherheit zu beantworten, liegen im 21. Jh. oftmals die Schwerpunkte in den morphologischen Experimenten und in detaillierten Grundlagenuntersuchungen. Da die zu beantwortenden Fragestellungen immer
komplexer, die Naturdaten in ihrer Qualität und Quantität immer besser und die Anforderungen an die Genauigkeiten der Ergebnisse immer höher werden, sind Laborversuche unabdingbar, um weiterhin das Prozessverständnis zu verbessern. Die Erkenntnisse aus den wasserbaulichen Experimenten
dienen als Grundlagen für die Lösungsansätze numerischer Modelle und sind damit auch für deren Weiterentwicklung unabdingbar.

Im letzten Jahrhundert war das wasserbauliche Versuchswesen von mehreren rasanten Entwicklungen geprägt. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden weltweit zahlreiche und oft auch sehr große Wasserbaulabore errichtet. Hydraulische und morphologische Grundlagen wurden erarbeitet sowie zahlreiche Messmethoden und Messtechniken für Flächenmodelle und Rinnenversuche wurden entwickelt. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts wurden durch die umfassenden Erfahrungen im Betrieb der Modelle immer größere Flächenmodelle u. a. für Ästuare betrieben, aber auch Mikro-Modelle, die ganze Flussgebiete abbildeten, und aerodynamische Analogiemodelle für schnelle
Variantenstudien. Gegen Ende des Jahrhunderts übernahmen großenteils die numerischen Modelle mit den Möglichkeiten immer umfassenderer Strömungssimulationen den Alltag bei der Lösung wasserbaulicher Fragestellungen und viele Wasserbaulabore wurden entweder verkleinert oder ganz geschlossen, da oft die Meinung vorherrschte, dass in naher Zukunft die Computermodelle die gegenständlichen Modelle vollständig ersetzen würden. Um die Jahrhundertwende zum 21. Jahrhundert erlebte das deutlich in den Hintergrund getretene wasserbauliche Versuchswesen jedoch eine Renaissance.

An den Universitäten und Hochschulen in Dresden, Zürich, Aachen, Wien und in vielen anderen Städten wurden in den letzten zwei Jahrzehnten neue Wasserbaulabore gebaut, andere wurden von Grund auf saniert und mit modernen Messmethoden ausgestattet.
Als deutlich wurde, dass die Erkenntnisse und Ergebnisse aus experimentellen Untersuchungen nach wie vor einen maßgeblichen Beitrag für das Prozessverständnis in der Hydraulik und in der Morphologie liefern, kam es zu einer Beendigung dieses Trends. Zudem wurde immer mehr deutlich, dass die aus den experimentellen Versuchen abgeleiteten physikalischen Grundlagen zwingend erforderlich sind, um die numerischen Methoden weiter zu entwickeln.



Copyright: © Springer Vieweg | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
Quelle: Wasserwirtschaft - Heft 05 (Mai 2021)
Seiten: 6
Preis inkl. MwSt.: € 10,90
Autor: Dipl.-Ing. Bernd Hentschel
Prof. Dr.-Ing. Bernd Ettmer

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