Wasser fĂŒr die Megacity Peking

In Nordeuropa mĂŒssen wir uns wenig Gedanken darĂŒber machen, ob diese existenzielle Ressource in ausreichendem Maß zur VerfĂŒgung steht. Das sieht jedoch in vielen Teilen der Welt ganz anders aus. Besonders in den rasant wachsenden Metropolen wie z. B. in Kalifornien, Mexiko, SĂŒdeuropa, Nordafrika oder China. Hier ist die Bereitstellung von Wasser in ausreichender Menge und QualitĂ€t ein zunehmendes Problem.

Karlsruhe. Ein Forscherteam des Fraunhofer-Instituts fĂŒr Informations- und Datenverarbeitung IITB in Karlsruhe hat zusammen mit seinem Anwendungszentrum fĂŒr Systemtechnik AST in Ilmenau fĂŒr die Megacity Peking ein modellbasiertes Wasser-Management-System entwickelt, mit dem die Region nachhaltig ihre Wasserversorgung sichern kann.
Peking liegt am nördlichen Rand der Nordchinesischen Ebene und hat derzeit eine Einwohnerzahl von ca. 14 Mio., mit einer durch Zuwanderung bedingten Wachstumsrate von 0,5 bis 1 Mio. pro Jahr. Das Verwaltungsgebiet der Hauptstadt (Beijing Municipality) umfasst ca. 16.500 kmÂČ. Durch die starke wirtschaftliche
Entwicklung und die permanent wachsende Bevölkerung ist der Wasserbedarf der Region kontinuierlich gestiegen, zumal bisher das Wasser in Peking fĂŒr die Einwohner kostenlos ist und eine systematische Erfassung des Verbrauchs durch WasserzĂ€hler auch in den privaten Haushalten nicht stattfand. Bei gleichzeitig ausbleibenden NiederschlĂ€gen musste in den letzten Jahrzehnten der Bedarf weitestgehend aus dem Grundwasser gedeckt werden mit der Folge, dass dieser im Mittel um 1,5 m pro Jahr absinkt. Auch die OberflĂ€chenwasserressourcen gingen stark zurĂŒck oder konnten aufgrund von Kontaminationen nur eingeschrĂ€nkt genutzt werden. All diese Faktoren waren der Anlass zu einem vom Bundesministerium fĂŒr Bildung und Forschung und dem chinesischen Ministerium fĂŒr Wissenschaft und Technologie geförderten Projekt, im Rahmen dessen die Fraunhofer Wissenschaftler ein alle Wasserressourcen berĂŒcksichtigendes Verteilungs- und EntscheidungsunterstĂŒtzungssystem entwickelten. Mit diesem System kann die Wasserbehörde Peking jederzeit anhand von aktuellen Verbrauchszahlen und abgeleiteten Prognosen die Wasserentnahmen und -verteilung fĂŒr unterschiedlichste Zeithorizonte planen und steuern. Die besonderen Herausforderungen bei diesem Projekt waren zum einen das sehr große Modellgebiet von 6300 kmÂČ, fĂŒr das sowohl ein Grundwasser- als auch ein OberflĂ€chenwassermodell entwickelt und miteinander gekoppelt werden mussten. Zum anderen sollte das System sowohl reine SimulationslĂ€ufe der Modelle erlauben, andererseits jedoch auch Optimierungen zulassen.
Da die Rechenzeiten fĂŒr eine Optimierung mit dem Grundwasser-Modell bei dieser GebietsgrĂ¶ĂŸe ins Unendliche explodiert wĂ€ren, mussten die Wissenschaftler eine automatisierte Reduktion der Grundwassermodelle entwickeln, die die 150.000 Variablen auf ein reines Datenmodell von 10-50 Freiheitsgraden 'runterkochte'. Dieses Konzept dĂŒrfte weltweit einmalig sein. SelbstverstĂ€ndlich sollte das ganze System darĂŒber hinaus ĂŒber eine benutzerfreundliche grafische OberflĂ€che eine leichte Einstellung der Modelle ermöglichen. Mit Hilfe dieser BenutzeroberflĂ€che kann der Anwender vielfĂ€ltige Szenarien generieren, die eine mögliche Entwicklung des Niederschlags, des Wasserverbrauchs und anderer GrĂ¶ĂŸen beschreiben und fĂŒr die das System eine optimale Bewirtschaftungsstrategie berechnet.
Der erste Arbeitsschritt bestand aus einer Bestandsaufnahme der tatsĂ€chlich vorhandenen Menge und Verteilung an Wasser und dem Verbrauch durch Haushalte, Landwirtschaft und Industrie. In der betrachteten Region mussten zunĂ€chst alle verfĂŒgbaren Daten und Messwerte aus vergangenen Jahren recherchiert,aufbereitet und in einer Datenbank verfĂŒgbar gemacht werden. Nach Abgleich mit den lokalen Gegebenheiten wie Niederschlagsmenge, Verdunstung und Verbrauch war der erste Meilenstein mit dem Erhalt einer Wasserbilanz fĂŒr diese Region erreicht. "Wir mussten erst mal ein GefĂŒhl fĂŒr die ungeheure GrĂ¶ĂŸe der zu analysierenden Region bekommen" so Prof. Dr. Hartwig Steusloff. Aufbauend auf dieser Wasserbilanz lassen sich Modelle erstellen, anhand derer Prognosen fĂŒr die zukĂŒnftige Wasserverteilung berechnet werden können.
Steusloff erklĂ€rt: "Das System unterscheidet zwischen Grundwasser und OberflĂ€chenwasser. Beim rĂ€umlich verteilten Grundwassermodell wird unter BerĂŒcksichtigung der beeinflussenden Faktoren wie z. B. geografische und klimatische Gegebenheiten sowie hydrogeologische Einflussfaktoren, wie z. B. DurchlĂ€ssigkeit und PorositĂ€t des Bodens der Grundwasserspiegel berechnet." Hier war die Schwierigkeit die ebenfalls rĂ€umlich verteilten EingangsgrĂ¶ĂŸen aus den Informationen der Wasserbilanz abzuleiten und in Form von Karten aufzubereiten, also zu regionalisieren. Dies geschieht ĂŒber Wasserbedarfsmodelle, die sich fĂŒr unterschiedliche Landnutzungen und Verbraucher rĂ€umlich und zeitlich unterschiedlich gestalten. Bei 2 Ernten pro Jahr ist die Landwirtschaft der grĂ¶ĂŸte Wasserverbraucher und belegt in der Modellregion eine FlĂ€che von ca. 3500 - 4000 kmÂČ. Das sind annĂ€hernd 2/3 der zu analysierenden GesamtflĂ€che. Allein zur BewĂ€sserung der Felder haben die Bauern um die 40.000 Brunnen angelegt, eine Anzahl, die mit derzeitigen Mitteln nicht mehr messbar ist. "Daher werden die landwirtschaftlichen Grundwasserentnahmen, aber auch die Grundwasserneubildung ĂŒber den Wasserbedarf der angebauten Pflanzenkulturen abgeschĂ€tzt." erlĂ€utert Wissenschaftler Dr. Oliver Krol. Im Gegensatz dazu ist das Problem im stĂ€dtischen Raum die krakenartig ausgreifende Versiegelung des Bodens zur Gewinnung neuer Bau- und VerkehrsflĂ€chen. Das bewirkt eine Reduktion der VersickerungsflĂ€chen mit einhergehender Minderung der Grundwasserneubildung.
Das OberflĂ€chenwasser wird in FlĂŒssen, Seen, KanĂ€len, Reservoiren, Schleusen und Wasserwerken transportiert, gesammelt und verteilt. Diese Elemente sind untereinander vernetzt und nehmen ebenfalls Einfluss auf den Grundwasserstand." Dr. habil. Thomas Rauschenbach vom Anwendungszentrum AST in Ilmenau ist Experte fĂŒr das OberflĂ€chenwasser: "Die Herausforderung lag darin, die wesentlichen Elemente des OberflĂ€chenwassersystems in dem sehr großen Modellgebiet zu identifizieren und zu modellieren sowie in der zusĂ€tzlichen Betrachtung von Einzugsgebieten der Reservoire mit FlĂ€chen von bis zu 50.000 kmÂČ."
Da das Grundwasser- und das OberflÀchenwassersystem voneinander abhÀngen, mussten auch die Modelle datentechnisch miteinander gekoppelt werden, um das Gesamtsystem abzubilden.
Im letzten Schritt mussten die Modelle zur Berechnung optimaler Strategien in einen Optimierungsverfahren eingebunden werden. Das gelang fĂŒr die weniger datenintensiven OberflĂ€chenwassermodelle verhĂ€ltnismĂ€ĂŸig einfach. FĂŒr das Grundwassermodell war dies auf direktem Wege nicht möglich, da sonst die Rechenzeiten fĂŒr einen Optimierungslauf unendlich lang gedauert hĂ€tte. Mit Strategien der Modellreduktion konnte das komplexe GW-Modell derart verkleinert werden, dass die wesentlichen Effekte damit beschrieben sind, es aber so klein wird, dass es sinnvoll im Optimierungsalgorithmus berĂŒcksichtigt werden kann.
Das Ergebnis der 4-jĂ€hrigen Forschungszeit ist ein EntscheidungsunterstĂŒtzungssystem, mit dessen Hilfe die Behörde die Verteilung der Wasserressourcen kurz-, mittel- und langfristig planen und steuern kann. Neu an diesem EntscheidungsunterstĂŒtzungssystem ist, dass auf Basis der erstellten Simulationsmodelle und dem Einsatz von Optimierungsverfahren, Strategien fĂŒr die optimale Verteilung der Wasserressourcen berechnet werden können. Diese Aufgabe kann vom Menschen allein fĂŒr ein solch komplexes Gesamtsystem nicht zufrieden stellend gelöst werden.
Seit Sommer 2008 ist das System in der Wasserbehörde in Peking im Einsatz und die dortigen Mitarbeiter wurden im Umgang mit dem System bereits geschult. Aufgrund der großen Zufriedenheit wird derzeit eine Erweiterung des Systems, das bisher nur die QuantitĂ€t berĂŒcksichtigt, auf die Untersuchung der QualitĂ€t erwogen. Die Forscher sehen viele Möglichkeiten, dieses System auch auf andere StĂ€dte in China und Wassermangelgebiete wie z. B. die Mongolei, Ägypten oder Vietnam zu adaptieren.
Weitere Informationen:
http://www.iitb.fraunhofer.de/servlet/is/26771/
http://www.iitb.fraunhofer.de/servlet/is/9247/
http://www.ast.iitb.fraunhofer.de/servlet/is/13479/



Copyright: © Informationsdienst Wissenschaft e.V. -idw- (23.04.2009)
 
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