OVG SH stellt Überlassungspflicht nach § 13 Abs. 1 Satz 1 KrW-/AbfG in Frage

Auf dem 10. [GGSC]-Infoseminar am 5. und 6. Juni 2008 wurde intensiv erörtert, welche Folgen eine neue Rechtsprechung zu § 13 Abs. 1 Satz 1 KrW-/AbfG haben könnte.

Hintergrund waren Meldungen über entsprechende Ausführungen des OVG Schleswig- Holstein in der mündlichen Verhandlung vom 22.04.2008 über eine Untersagungsverfügung der Landeshauptstadt Kiel. Die Begründung des Urteils liegt nunmehr vor (vgl. www.euwid-recycling.de). Das Gericht führt auf der einen Seite aus, der gewerblichen Sammlungstätigkeit der Klägerin stünden keine überwiegenden öffentlichen Interessen entgegen. Das Gericht sieht dabei die Auswirkungen einer gewerblichen Sammlung auf die zukünftige Gebührengestaltung, also eine kostengünstige Abfallentsorgung – anders als andere Gerichte - durchaus als öffentliches Interesse an; im konkreten Fall wird aber ein potenzieller Gebührenmehrbedarf von ca. 5 % bzw. ca. 10,00 €/a für einen Normalhaushalt als nicht hinreichend beachtlich angesehen. Vor allem aber wird ausgeführt, die streitgegenständliche Verfügung sei auch rechtswidrig, soweit der Klägerin untersagt wird, Abfälle aus privaten Haushaltungen als beauftragte Dritte (außerhalb ihrer Sammlungstätigkeit) für Erzeuger und Besitzer zu verwerten. Ausdrücklich stellt das Gericht fest: „§ 13 Abs. 1 Satz 1 2. Halbs. KrW-/AbfG schließt die Einschaltung Dritter zur Verwertung von Abfällen nicht aus (...). Dem Wortlaut der Vorschrift ist nicht zu entnehmen, dass die Erzeuger und Besitzer „selbst“ (d.h. in Person) zur Abfallverwertung bereit und in der Lage sein müssen. (...) Die fehlende Erwähnung Dritter in diesem Zusammenhang spricht für nicht gegen die Auslegung, dass Dritte für die Erzeuger und Besitzer von Abfällen in deren Auftrag verwertend tätig sein dürfen.“
Diese Auslegung von § 13 Abs. 1 KrW-/AbfG kann weitreichende Folgen für die kommunale Abfallwirtschaft haben. Nach der Lesart des OVG Schleswig-Holstein steht es jedem Bürger frei, seine Abfälle aus privaten Haushaltungen einem Entsorgungsunternehmen zu übergeben, das in seinem Auftrag die Verwertung durchführt.
 
Angriff auf Restmülltonne
Es steht kurzfristig zu erwarten, dass private Entsorgungsunternehmen in städtischen Ballungsräumen oder gegenüber Wohnungsbauunternehmen das Angebot unterbreiten, die Restmülltonne zu verwerten und zwar zu Kosten, die unter den Gebühren liegen, die von der kommunalen Abfallwirtschaft für die Beseitigung des Restmülls angesetzt sind. Die privaten Entsorgungsunternehmen müssen die Abfälle aus den privaten Haushaltungen verwerten. Das dürfte aber nicht zuletzt mit Blick auf die vielen Müllverbrennungsanlagen, denen der sog. Verwerterstatus zugesprochen wird, nicht schwierig sein. Die private Entsorgungswirtschaft muss sich also insoweit nur kostengünstige Verbrennungskontingente sichern, was angesichts teilweise drohender, teilweise bereits bestehender Überkapazitäten bei MVA’s und EBSKraftwerken nicht schwierig sein wird. Um den Bürgern gegenüber ein kostengünstiges Angebot machen zu können, ist es für Privatentsorger weiterhin wichtig, sich bei der Entlohnung unter den Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst zu legen, was angesichts der nur noch geringen Tarifbindung der privaten Entsorgungswirtschaft vielerorts gelingen dürfte. Die Auseinandersetzung innerhalb des BDE um die Frage, ob die Entsorgungsbranche sich auf einen Mindestlohn verständigen soll, spricht insoweit eine beredte Sprache. Die „Ausschaltung“ der kommunalen Abfallentsorgung aus der Mitwirkung bei der Entsorgung der dualen Systeme hat in den vergangenen Jahren deutlich gemacht, welche Grenzen der kommunalen Abfallwirtschaft bei der Kostenabsenkung gesetzt sind.
 
Revision zum BVerwG
Die Revision gegen dieses Urteil wurde zugelassen, weil der Frage, ob § 13 Abs. 1 Satz 1 KrW-/AbfG die Einschaltung Dritter zur Verwertung von Abfällen aus privaten Haushaltungen zulässt, rechtsgrundsätzliche Bedeutung zukommt. Die verantwortlichen Gremien der Landeshauptstadt Kiel haben die Einlegung der Revision bereits beschlossen.
 
Bund-Länder-Treffen
Das Bundesumweltministerium hat zur Auswertung des Urteils des OVG Schleswig- Holstein die Vertreter der Länder zu einer Besprechung am 16.06.2008 nach Bonn eingeladen. Es ist zu hoffen, dass sich Bund und Länder sehr kurzfristig zu einer Gesetzgebungsinitiative verständigen, die zunächst das bisherige Verständnis des Umfangs zur Überlassungspflicht bestätigt. Zwar stellt die Auffassung des OVG Schleswig-Holstein eine Mindermeinung dar, es sollte aber nicht abgewartet werden, ob sich nicht auch noch andere Gerichte der wiedergegebenen Auffassung anschließen.
 
Einzelmeinung aus BVerwG
Der Richter am BVerwG Herbert, der im 7. Senat sitzt, der u.a. für das Abfallrecht zuständig ist, hat in einem Aufsatz zum KrW- /AbfG in einer Fußnote angedeutet, dass auch er die Auffassung vertritt, eine die Überlassungspflicht der Erzeuger und Besitzer von Abfällen aus privaten Haushaltungen begrenzende Verwertung könne auch durch beauftragte Dritte erfolgen (NVwZ 2007, 617, 618, Fn. 30).
 
Entsorgungszuständigkeit nach Herkunftsbereichen
Eine Novellierung des KrW-/AbfG sollte allerdings nicht bei § 13 Abs. 1 Satz 1 KrW- /AbfG Halt machen, sondern insgesamt zu einem Regelungsgefüge führen, das die Entsorgungsverantwortlichkeit zwischen der kommunalen Abfallwirtschaft und den privaten Entsorgungsunternehmen nach den Herkunftsbereichen bestimmt. Die Entsorgung von Abfälle aus privaten Haushaltungen wird von der kommunalen Abfallwirtschaft erledigt; die Abfälle aus anderen Herkunftsbereichen werden von der privaten Entsorgungswirtschaft entsorgt – und zwar jeweils unabhängig davon, ob die Abfälle verwertet oder beseitigt werden. Damit wird die Entsorgungsverantwortlichkeit nicht mehr länger an der strittigen Frage der Abgrenzung von Beseitigung und Verwertung festgemacht. Schließlich steht die Forderung der kommunalen Abfallwirtschaft im Raum, ihr auch die Aufgabe der Organisation der Entsorgung der dualen Systeme zuzuweisen, soweit es um die Verkaufsverpackungen geht, die dazu bestimmt sind, von privaten Endverbrauchern genutzt zu werden. Rückfragen bei [GGSC] bitte an Rechtsanwälte Hartmut Gaßner, Rechtsanwältin Caroline v. Bechtolsheim, Rechtsanwalt Dr. Frank Wenzel.



Copyright: © Gaßner, Groth, Siederer & Coll. (11.06.2008)
 
Name:

Passwort:

 Angemeldet bleiben

Passwort vergessen?