Gönner fordert Ausstieg aus der Klärschlammverwendung im Landschaftsbau und Landwirtschaft

In fast jeder dritten untersuchten Kläranlage Baden-Württembergs erhöhte Werte der Industriechemikalie PFT festgestellt

Stuttgart (03.08.2007). Die Industriechemikalie Perfluortenside (PFT) ist in der Umwelt mehr verbreitet als bisher angenommen. In einer nicht repräsentativen Untersuchung fand die Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg in fast jeder dritten Kläranlage erhöhte PFT-Werte im Klärschlamm. Baden-Württembergs Umweltministerin Tanja Gönner, die die Ergebnisse des Untersuchungsprogramms am 3. August 2007 in Stuttgart vorstellte, forderte die Bundesregierung auf, die Befunde nicht länger zu ignorieren und den Ausstieg aus der Klärschlammverwendung im Landschaftsbau und Landwirtschaft einzuläuten. An die Industrie appellierte Gönner, die Suche nach umweltverträglichen PFT-Ersatzstoffen zu intensivieren.

Insgesamt 157 der landesweit 1.050 kommunalen Kläranlagen wurden in das Programm einbezogen. In 47 Anlagen wurden PFT-Werte von über 100 Mikrogramm PFT pro Kilogramm Klärschlamm in der Trockenmasse gefunden. Gönner bezeichnete das hohe Vorkommen als "besorgniserregend". Ein Kriterium für die Aufnahme einer Kläranlage in das Programm habe bestand darin bestanden, dass Betriebe, die PFT verwenden, ihr Abwasser der Anlage zuleiten, so Gönner. "Wir waren nicht auf der Suche nach Schuldigen, der Einsatz von PFT ist bislang auch nicht verboten. Es ging uns vielmehr darum, PFT-Belastungsschwerpunkte aufzuspüren. Entsprechend wurde eine Vorauswahl getroffen." Dies schließe jedoch nicht aus, dass weitere Kläranlagen erhöhte PFT-Belastungen aufwiesen, so Gönner. "Es liegt in der Verantwortung der Kläranlagenbetreiber ein mögliches Risiko zu prüfen." Aus den gewonnenen Erkenntnissen müssten jetzt gemeinsam - Industrie, Kläranlagenbetreiber und Umweltbehörden - Lösungen erarbeitet werden, um die PFT-Belastung der Umwelt wirksam zu verringern.

Bei zwölf der Anlagen mit erhöhten PFT-Werten habe eine teilweise Bodenverwertung des Klärschlamms im Landschaftsbau oder in der Landwirtschaft stattgefunden, erläuterte Gönner. "Die örtlichen Behörden wurden unmittelbar nach Bekanntwerden der Befunde aus Gründen der Umwelt- und Gesundheitsvorsorge veranlasst, die Bodenausbringung zu stoppen." Nach derzeit vorliegenden Erkenntnissen habe keine unmittelbare Gefahr für die Umwelt und die Gesundheit der Menschen bestanden. "Bei den weitergehenden Untersuchungen des Grundwassers wurden keine erhöhten Werte gefunden. Die Stoffe sind demnach noch nicht in größerem Umfang ausgewaschen worden." PFT finden breite Anwendung in verschiedenen Industriezweigen wie der Papier- und Textilindustrie oder der Metallverarbeitung und Galvanik und stehen im Verdacht beim Menschen Krebs verursachen zu können. In Nordrhein-Westfalen gilt seit den PFT-Funden im vergangenen Jahr für die Aufbringung von Klärschlamm in der Landwirtschaft und im Landschaftsbau ein Richtwert von höchstens 100 Mikrogramm PFT pro Kilogramm Trockensubstanz. Die Umweltministerin appellierte an die Bundesbehörden, bundesweit einheitliche Grenzwerte für die weit verbreiteten Industriechemikalien festzulegen. Bis dahin lehnen wir uns an die Vorgehensweise in Nordrhein-Westfalen an", so Gönner. "Notwendig wäre außerdem eine umfassende toxikologische Bewertung der gesamten Stoffgruppe."

Gönner sprach sich für ein Verbot der Klärschlammausbringung aus. Die neuerlichen Funde der Industriechemikalie PFT würden die restriktive Haltung des Landes bei der Weiterverwendung von Klärschlamm bestätigen, betonte Gönner. Es sei fragwürdig, wenn mit viel technischem Aufwand die Schadstoffe aus den Abwässern entfernt würden, "um nachher den verbleibenden Klärschlamm wieder auf den Böden auszubringen". Gönner weiter: "Ich wäre sehr dafür, bundesweit den kompletten Ausstieg aus der Klärschlammdüngung vorzuschreiben."  Es liege jedoch in der Verantwortung des Bundes, den Ausstieg schnellstmöglich einzuläuten. Die derzeit laufende Novellierung der Klärschlammverordnung durch das Bundesumweltministerium biete dazu Gelegenheit, so Gönner. "Die Ergebnisse sprechen für sich. Ich hätte kein Verständnis, wenn die aktuellen Befunde über Schadstoffvorkommen im Klärschlamm erneut ignoriert würden." Die Trocknung von Klärschlamm und seine spätere Verbrennung stelle eine gute und gangbare Alternative zur Bodenausbringung dar. Über neu entwickelte technische Verfahren könnten künftig außerdem die im Klärschlamm vorhandenen wertvollen Stoffe wie Phosphate zurück gewonnen werden.

Mit dem Werben für eine anderweitige Nutzung des Klärschlamms sei man in den vergangenen Jahren in Baden-Württemberg sehr erfolgreich gewesen, so Gönner. Bei drei Viertel des Klärschlammaufkommens hätten die kommunalen Kläranlagenbetreiber bis zum Ende vergangenen Jahres bereits von einer Ausbringung des Klärschlamms auf Böden und Feldern Abstand genommen. Im Jahr 2001 waren es nur 30 Prozent. "Diese positive Entwicklung zeigt, dass es auch ohne Bodenausbringung geht."" Ein bundesweites Verbot würde den notwendigen Schub bringen, so Gönner. "Zumindest aber müsste den Ländern eine entsprechende Regelungskompetenz eingeräumt werden." Die Bodenverwertung des Klärschlamms berge immer die potenzielle Gefahr eines Schadstoffeintrags in den Kreislauf der Natur und letztlich auch in die Nahrungsmittelkette. "Das kann niemand vollkommen ausschließen. Die Untersuchungslabors finden nur die Schadstoffe, nach denen auch gesucht wird."

Die Umweltbehörden seien derzeit gemeinsam mit den Anlagenbetreiber seien damit befasst, die PFT-Quellen ausfindig zu machen, so Gönner. Mit den jeweiligen Betrieben solle danach über Möglichkeiten beraten werden, die PFT-Belastung im Abwasser zu verringern. "Es geht darum gemeinsam Wege zu finden, die PFT-Konzentrationen im Abwasser weiter zu verringern." Die bislang ausfindig gemachten Industriebetriebe zeigten sich kooperativ und aufgeschlossen, lobte Gönner. "Die angetroffene Bereitschaft, aktiv an Lösungen mit zu arbeiten ist sehr erfreulich und Beleg für eine hohe Umweltsensibilität der Unternehmen." Derzeit prüfe das Umweltministerium ein Pilotprojekt mit einem Galavanikbetrieb. Ziel sei es, PFT im Produktionsprozess künftig zu vermeiden oder wirksame Verfahren zur Behandlung oder Rückgewinnung der Stoffe zu entwickeln.

Die Wirkung der einzelnen PFT-Stoffe auf Umwelt und Gesundheit der Menschen müsse außerdem noch weiter erforscht werden, forderte Gönner. "Wir brauchen für diese zunehmend verbreitete Stoffgruppe eine umfassende Bewertung und daran ausgerichtete Grenzwerte." Die Orientierung an dem derzeitigen Vorsorgewert könne nur eine Übergangslösung sein. "Der Wert wurde so angesetzt, dass wir auf der sicheren Seite sind. Notwendig wäre aber ein Wert, der auf vertieften wissenschaftlichen Erkenntnissen fußt." An die Industrie appellierte Gönner die Suche nach umweltverträglichen Ersatzstoffen für PFT voranzutreiben. "Man sollte nicht abwarten, bis es zum Verbot von einzelnen Stoffen kommt. Es kann auch jetzt schon nach Alternativen geforscht werden." Ab Juli kommenden Jahres trete bereits ein in weiten Anwendungsbereichen geltendes europaweites Verbot des chemisch verwandten PFOS (Perfluoroctansulfonat) in Kraft, erinnerte Gönner. Die EU-Kommission sei jedoch verpflichtet, auch für andere Stoffe der PFT-Gruppe Verbote zu prüfen. So zeigten die Untersuchungsergebnisse, dass insbesondere Perfluorbutansulfonat, das bislang wenig beachtet wurde und über dessen ökotoxikologischen Wirkungen kaum Erkenntnisse vorliegen, nach PFOS die zweitwichtigste Perfluorverbindung war, die zu hohen PFT-Gehalten beitrug.


Basisinformationen zu PFT:
Perfluorierte Tenside (PFT) sind eine Gruppe organischer Verbindungen (Leitkomponenten PFOS (Perfluoroctansulfonsäure) und PFOA (Perfluroctansäure)), an deren Kohlenstoffgerüst die Wasserstoffatome vollständig durch Fluoratome ersetzt sind. Sie zeigen eine hohe Beständigkeit gegenüber UV-Strahlung und Verwitterung auf. Aufgrund ihrer schmutz-, farb-, fett-, öl- und wasserabweisenden Eigenschaften finden diese Stoffe Anwendungen in zahlreichen Industrie- und Konsumprodukten. Die Hauptanwendungsgebiete liegen im Bereich der Oberflächenmodifizierung, der Papierveredelung und der Spezialchemie. Typische Produkte sind: Textilien, Ledermöbel, Papier und Verpackungen, Farben, Reinigungsmittel und Kosmetikartikel, Pflanzenschutzmittel, Feuerlöscher, hydraulische Flüssigkeiten. Außerdem werden PFT in der chemischen Synthese, der Metallierung, der Foto- und Halbleiterindustrie, sowie der Medizintechnik verwendet.

Risiken von PFT für Mensch und Umwelt:
Das Auftauchen von perfluorierten organischen Verbindungen in der Umwelt wurde in den 70er Jahren erstmals beobachtet und stieg seitdem stetig an. PFT werden heute weltweit in Gewässern, in der Atmosphäre sowie im Gewebe bzw. Blut von Menschen und Tieren nachgewiesen.
Die Vertreter der Stoffgruppe PFT zeichnen sich durch hohe Persistenz (Stabilität) in der Umwelt sowie eine hohe Bioakkumulierbarkeit aus. In Böden sind sie vergleichsweise leicht löslich und mobil. Das heißt, sie können - wie das Beispiel NRW zeigt - in Richtung Grundwasser verlagert werden und auch Trinkwasser verunreinigen. Die toxikologischen Eigenschaften der PFT sind bisher nur unvollständig untersucht und basieren überwiegend auf Tierversuchen. Nach heutigem Wissensstand kann von einer kanzerogenen und fortpflanzungsschädigenden Wirkung sowie einer mäßigen Toxizität für den Menschen ausgegangen werden.

Bewertung der PFT-Funde und Vergleich zu den PFT-Funden in NRW:
Die im Klärschlamm in Baden-Württemberg gefundenen Werte (bis 5 mg/kg) liegen erheblich unter den Gehalten der Abwasserschlämme (über 100 mg/kg), die in NRW (Bereich Brilon, Möhnetalsperre) die vielfach in der Presse zitierten Belastungen von Grund-, Trink- und Oberflächengewässer verursacht haben. Insofern besteht nach derzeit vorliegenden Erkenntnissen keine unmittelbare Gefahr für Umwelt und Gesundheit der Menschen. Dennoch sind nach Untersuchungen aus NRW Klärschlämme ab einem Gehalt von 0,1 Milligramm bzw. 100 Mikrogramm pro Kilogramm Klärschlamm Trockenmasse nicht mehr für eine Verwertung auf Böden geeignet, da ab diesem Wert ein deutlich steigendes Risiko für die Auswaschung aus den Böden in Richtung Grundwasser besteht.

Klärschlammentsorgung in Baden-Württemberg 2001-2006
(Quelle: Umweltministerium Baden-Württemberg, 2007)


Klärschlammaufkommen und –entsorgungswege im Jahr 2006 in Baden-Württemberg
(Gesamtschlammanfall circa 275.000 Tonnen Trockensubstanz)

Verbrennung

75 %

Landschaftsbau

16 %

Landwirtschaft

7 %

Sonstiges

2 %

Deponie

weniger als 0,5 %


Quelle: Umweltministerium Baden-Württemberg, 2007

Genehmigte Klärschlammentsorgungskapazitäten in Baden-Württemberg
(Stand 06/2007)

Monoverbrennungsanlagen

ca. 55.000 Tonnen Trockensubstanz pro Jahr

Kohlekraftwerke

ca. 85.000 Tonnen Trockensubstanz pro Jahr

Zementwerke

ca. 170.000 Tonnen Trockensubstanz pro Jahr

Gesamt

310.000 Tonnen pro Jahr


Quelle: Umweltministerium Baden-Württemberg, 2007

Literatur:
Umweltministerium Baden-Württemberg (Hrsg.): Perfluorierte Tenside (PFT) im Klärschlamm in Baden-Württemberg. Hintergründe, Ergebnisse, Perspektiven. (Hintergrundinformationen), Stuttgart, 3. August 2007, PDF-Datei, im Internet verfügbar unter http://www.um.baden-wuerttemberg.de

Ministerium für Umwelt und Verkehr Baden-Württemberg (Hrsg.):
Klärschlammentsorgung. Stuttgart 2002. (Die Broschüre enthält Informationen zum Ausstieg aus der bodenbezogenen Klärschlammverwertung und empfiehlt die thermische Entsorgung als alternativen Entsorgungsweg), PDF-Datei, im Internet verfügbar unter http://www.um.baden-wuerttemberg.de

Kontakt:
Umweltministerium Baden-Württemberg, Kernerplatz 9, D-70182 Stuttgart, Tel. 0711.126-0, Fax -126 28 81, eMail: Poststelle@um.bwl.de, Internet: http://www.um.baden-wuerttemberg.de
Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz, Griesbachstr.1, D-76185 Karlsruhe, Tel. 0721-5600 -1277, Internet: http://www.lubw.baden-wuerttemberg.de

RHOMBOS, Abfallwirtschaftlicher Informationsdienst, ISSN: 1613-6489)



Copyright: © Rhombos Verlag (03.08.2007)
 
Name:

Passwort:

 Angemeldet bleiben

Passwort vergessen?

Cleantech Experten
 
Dipl.Ing. Dr. Markus Meissner
Dipl.-Ing. Michael Birkhorst
Dr. Roland Geres
die jüngsten Änderungen 
 
 
36. Kasseler Abfall- und Ressourcenforum